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Überpflegung - Einfach zu viel des Guten

 

Kennen Sie die Stewardessen-Krankheit? Ein Ausschlag, der durch Überpflegung der Haut entsteht! Zu wenige Pflegemaßnahmen lassen die schützende Körperhülle leiden, aber offenkundig auch zu viele.

 

Diesem Phänomen begegnen wir überall: Es geht um das richtige Maßhalten. Essen ist gesund, aber zuviel davon macht krank und erzeugt Übergewicht. Sport steigert die Leistung, Extremsport führt zum Verschleiß der Gelenke. Sonnenstrahlung füllt das leere Vitamin D-Depot, ein Übermaß an UV-Licht lässt die Haut aber schnell altern. Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
Mit der Hautpflege verhält es sich ähnlich: Zu viel Pflege kann das Gegenteil bewirken. Was zunächst widersinnig klingt, passiert in der Praxis aber wesentlich häufiger, als man denkt. Das Ärgerliche dabei ist, dass die Folgen einer Überpflegung Anlass für Reklamationen sind, die im konkreten Fall weder vom Kunden noch vom Verkäufer richtig eingeordnet werden. Es fehlt schlicht das Bewusstsein dafür, dass es zur Überpflegung der Haut kommen kann. Folgende (Co-)Faktoren sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung:
  • Hygiene
  • Infektionen
  • Dosierung von Fettstoffen
  • Reizungen & Allergien
  • Bindegewebsstörungen
  • Abrasive Behandlungen
  • Spezielle Inhaltsstoffe

Mit einem Zuviel an Hygiene kann es schon bei Babys und Kleinkindern beginnen: Je öfter tensidische Reinigungsmittel zur Anwendung kommen, desto eher tritt eine Windeldermatitis auf. Reine pflanzliche Öle wie Avocadoöl schaffen einfach Abhilfe. Avocadoöl reinigt, die Hautbarriere wird geschont und stabilisiert. Bei neurodermitischer Haut werden durch übertriebene Hygiene wie etwa tägliches Duschen mit Ganzkörper-Reinigungspräparaten ebenfalls Reizungen gefördert. Hartes Wasser wirkt dabei als Beschleuniger. Die Hautbarriere wird ständig ausgelaugt. Die in Duschgels enthaltenen "rückfettenden" Substanzen bieten zwar eine gute Sensorik, haben aber oft oberflächenaktive Eigenschaften - ähnlich wie Emulgatoren. Für die atopische Haut sind sie daher meist wenig geeignet.
Besser ist es, auf die Rückfettung zu verzichten und ein Körperöl auf Basis pflegender Triglyceride und Phytosterine zu verwenden - letztere etwa in Form von Sheabutter. Vorrangig sollte aber der sparsame Einsatz von Duschpräparaten oder besser deren Verzicht sein.

Zugunsten von Mikroben

Mit der zunehmenden Intensität der Hygiene steigt die Gefahr von Infektionen. Denn nach wie vor funktioniert eine natürliche Barriere besser als eine noch so gute Pflegecreme. Dies gilt für so unterschiedliche Erscheinungsformen wie Kopfschuppen, Fußpilz und Infektionen in Achsel- und Intimregion. Rasur und Epilation üben durch Mikroverletzungen eine Verstärkerfunktion aus. Fazit: Hygiene ist eine lebenserhaltende Errungenschaft. Doch zuviel davon kann kontraproduktiv sein.
Welche Rolle spielen Fettstoffe? Anlagebedingt kann die Haut individuell auf zu hohe Dosierungen von Lipiden reagieren. Während der Pubertät fühlen sich Aknebakterien besonders wohl, wenn zum Sebum die Fette der Pflegecremes und Make-ups hinzukommen. Der Lebensraum der anaerob lebenden Unruhestifter wird optimiert, denn unter Luftabschluss gedeihen sie besonders gut. Dementsprechend blüht das Gesicht über kurz oder lang.

Unter Kontrolle haben

Sebummessungen im "gepflegten Zustand" können hilfreich sein, den Fett- und Sebumgehalt der Haut so zu kontrollieren, dass er sich nicht "am Anschlag" (100 Prozent) befindet. Analog verhält es sich mit Störungen im Bereich des Bindegewebes und der oberflächlichen Blutkapillaren - also bei der Haut, die zur Rosacea neigt. Wie bei der Akne sind es ähnliche oder gleiche Bakterienstämme, die entzündliche Reaktionen verursachen. Gerade bei Rosacea ist das Bedürfnis häufig groß, Fettstoffe und Make-up-Präparate hoch zu dosieren. Die Betroffenen sind in der Regel nur schwer davon zu überzeugen, dass man der vollen Ausprägung der Rosacea am besten durch einen sparsamen Gebrauch von Fettstoffen vorbeugen kann.
Die periorale Dermatitis gehört in den gleichen Kreis von Problemen. Sie flammt gerne wieder auf, wenn zu früh und viel Fettstoffe appliziert werden - vor allem, wenn die Auslöser, persistierende Keime etwa, noch präsent sind oder zu wenig auf ätherische Öle aus Cremes und Nahrungsmitteln geachtet wird. Auch permanente Fruchtsäurebehandlungen können sich hier negativ auswirken.
Selbst die normale Haut, die nicht vorgeschädigt ist, leidet, wenn zu viel Lipide - zuweilen in bis zu drei Schichten, nämlich Grundpflege, Sonnenschutz und Make-up - aufgetragen werden. Der daraus resultierende nahezu okklusive Zustand lässt die Haut von innen quellen, vor allem im Falle von Präparaten mit hohen Kohlenwasserstoffanteilen (Paraffine). Die Quellung wird anfangs von den Anwendern als Vorteil empfunden, da die Haut glatter erscheint und Falten reduziert werden oder gar verschwinden. Die Kehrseite ist eine Ausbremsung der hauteigenen Regeneration und langfristig die Förderung atrophischer Haut.

Nicht aus eigener Kraft

Die gedämpfte Eigenregeneration spielt auch bei pharmazeutischen Individualrezepturen eine entscheidende Rolle. So werden bei Akne etwa immer wieder hochwirksame Antibiotika und Antiseptika in paraffinreichen Grundlagen verordnet. Die Folge der ungeeigneten pharmazeutischen Basiscremes sind Rückfälle - kurze Zeit nach dem Absetzen der Salben und ab dem Beginn der kosmetischen Pflege. Dieser Ablauf ist nicht auf die Indikationen Akne und Rosacea beschränkt.

Reizungen und Allergien

Eine besondere Art der Überpflegung erzeugen Präparate, die sich durch zu viele Wirkstoffe auszeichnen. Ungünstig kann es sich auch dann auswirken, wenn mehrere Präparate zugleich verwendet werden. Im letzteren Fall kann es zum einen zu einer Interaktion von Wirkstoffen kommen. Zum anderen wächst die statistische Wahrscheinlichkeit, dass unter der Vielzahl der Stoffe eine Substanz dabei ist, die eine Irritation oder Allergie auslöst. Wenige Wirkstoffe, die nach profunder Hautdiagnose gezielt und in angepasster Dosierung eingesetzt werden, bedeuten ein Mehr für Pflege und Verträglichkeit.
Zu einem anderen Problem können Hilfsstoffe wie Polyethylenglykole (PEG) beitragen - wenn die gepflegte Haut Kontakt mit nickelhaltigem Modeschmuck hat. Die mit den Kronenethern der Chemie verwandten PEGs können die Oxidschichten des Metalls anlösen und befördern die allergenen Nickelionen auf direktem Weg in die Haut. Andere Komplexbildner (siehe unten) reagieren ähnlich.
Kontraproduktiv können Öl-in-Wasser-Emulsionen (O/W) wirken, wenn sie nach der ersten Begeisterung immer reichlicher aufgetragen werden, um das schon gute Ergebnis noch zu übertreffen. Wenn das Wasser verdunstet, reichern sich die wasserlöslichen Stoffe dann so stark in den oberen Hautschichten an, dass es bei gewissen Veranlagungen zu einer Irritation kommt. Das trifft häufig für Rosacea und die periorale Dermatitis zu. Dahinter steckt das Unvermögen der Haut, die extra- und intrazellulären Konzentrationsunterschiede auszugleichen. Ein vergleichbarer Effekt tritt ein, wenn man Salz in eine Wunde streut. Daher reagiert die betreffende Personengruppe in der Regel auch auf eingetrockneten Schweiß und Salzrückstände aus Meerwasser. Die Irritation verschwindet nach Reduzierung des Pflegepräparates innerhalb kurzer Zeit.
Als Alternative ist der Umstieg auf Wasser-in-Öl-Emulsionen (W/O) oder wasserfreie Cremes empfehlenswert. Allerdings ist auch hier aufgrund des hohen Fettstoffgehaltes - wie oben ausgeführt - Sparsamkeit angesagt. Viele der beschriebenen Reaktionen setzen nicht unmittelbar nach der ersten Applikation der Präparate ein, sondern zeitversetzt nach mehreren Tagen. Dementsprechend lauten die Klagen der Kunden: "Am Anfang habe ich das Präparat vertragen, später dann nicht mehr". Das heißt, dass erst ein gewisser Kumulationseffekt vorausgehen muss, bevor die Reaktion einsetzt. Da manche Wirkstoffe konditionierend wirken, spricht vieles dafür, die tägliche Applikationsmenge nicht zu steigern, sondern im Gegenteil mit der Zeit eher zu senken. Dies trifft etwa für faltenreduzierende Stoffe zu, die eine Muskelrelaxation auslösen (Botulinum-Prinzip).

Abrasive Behandlungen

Wie oft soll man Peelings oder eine Mikrodermabrasion - also abrasive Verfahren allgemein - anwenden? Diese Frage wird immer wieder gestellt. Auch hier zeichnet sich ein Trend ab, der aufhorchen lässt. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass Kunden nach Jahren regelmäßiger Fruchtsäurebehandlungen stärker zu Rosacea und perioraler Dermatitis neigen. Die Gründe sind im Detail bisher weitgehend unbekannt. Man kann aber vermuten, dass die Regenerationsfähigkeit der Haut ähnlich wie beim Sonnenbrand an Grenzen stößt und die Haut anfälliger für Bindegewebsstörungen sowie Infektionen und Allergien wird. Überpflegung hängt daher nicht nur von der Dosierung sondern auch der zeitlichen Abfolge und Intensität von Behandlungen ab. Im Falle von Peelings ist das weniger spektakuläre Abtragen möglicherweise die bessere Wahl - etwa mit Präparaten, die auf Wachskügelchen oder Enzymen basieren und nur die oberflächlichen, bereits lockeren Zellverbände ablösen.

Spezielle Inhaltsstoffe

Die Verbraucher schätzen einfach anzuwendende Präparate und möchten rundum für jede Eventualität geschützt sein. Dies hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass Tagescremes vielfach mit UV-Filtern ausgerüstet wurden. Die Filter sind in den Wintermonaten, aber auch im Sommer beim Aufenthalt in geschlossenen Räumen, ohne Nutzen. Bei Freizeitaktivitäten wie Strandaufenthalten werden ohnehin zusätzliche Sonnenschutzpräparate mit hoher Filterleistung verwendet. Da durch die Lichtschutzfaktoren der Pflegepräparate auch geringe, physiologisch sinnvolle Strahlendosierungen verhindert werden, tragen entsprechende Tagescremes zum verbreiteten Vitamin-D-Defizit bei. Dieses Defizit muss zwangsläufig durch entsprechende Vitaminpräparate kompensiert werden.

Gegenteilige Effekte

An Überversorgung muss auch beim Thema Antioxidantien gedacht werden, deren Notwendigkeit im Hinblick auf die Prävention der vorzeitigen Hautalterung immer wieder betont wird. Das ist sicher richtig. Aber in manchen Fällen können kontraproduktive Effekte eintreten. So z. B. überall da, wo Oxidationen physiologisch notwendig sind. Ein Beispiel ist die Melaninbildung aus Tyrosin. Fest steht auch, dass das in Misskredit geratene körpereigene Wasserstoffperoxid in geringen Mengen zum physiologischen Redoxpuffer gehört und als membrangängiges Signalmolekül fungiert. Höhere Dosierungen potenter Antioxidantien aus kosmetischen Pflegecremes können die physiologisch notwendigen Prozesse stören. Gleiches gilt für starke Komplexbildner wie EDTA, die nicht nur exogene, sondern auch die für Oxidoreduktasen wichtigen endogenen Schwermetalle binden können.

Dr. Hans Lautenschläger

 


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veröffentlicht in
Kosmetik International
2015 (3), 22-25

 
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