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Minimalistische Kosmetik - Ist weniger auch mehr?

 

Was ist wirklich wichtig und was ist überflüssig? Diese nahezu philosophischen Fragen stellen sich viele Menschen betr. ihres Lebensstils als Gegenentwurf zum ausufernden Konsum der heutigen Zeit. Sind diese minimalistische Überlegungen auch für die Kosmetik von Bedeutung?

 

Minimalistik ist ein neuer Trend und bedeutet, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und auf viele "nice to have"-Dinge zu verzichten. Um es drastisch auszudrücken: Man muss sich kein Werkzeug kaufen, wenn man ein Schweizer Taschenmesser sein Eigen nennt.
Das ist natürlich völlig übertrieben und lässt sich so nicht auf die Kosmetik übertragen. Dennoch ist die Frage erlaubt, in welchen Bereichen frau oder man reduzieren kann, ohne die Lebensqualität einzuschränken oder essenziell notwendige Dinge aufzugeben. Für die Antworten ist es wichtig, beide Perspektiven zu sehen - die der Kosmetikerin und die ihrer Kund(inn)en.

Verpackung

Nicht neu ist die Diskussion um Verpackungen, bei denen die Meinungen auseinandergehen. Fakt ist, dass deren Herstellung die Kosten des Inhalts in der Regel nach wie vor übersteigt - insbesondere, wenn neben dem ausgefallenen Spender oder Tiegel noch eine Umverpackung oder das Geschenkset hinzukommen. An dieser Stelle zu reduzieren, wenn die vorhandene Kundschaft sich im Repräsentieren gefällt, ist wenig absatzfördernd und für das Geschäft geradezu kontraproduktiv. Anders ist die Situation, wenn das Publikum bereits auf Reduzierung und Sparsamkeit konditioniert ist und weiß, worauf es wirklich ankommt.1 Dann sind weitere Schritte in Richtung Minimierung mit Sicherheit geschäftserhaltend und -fördernd. Schwer zu sagen, mit welcher Philosophie ein Institut erfolgreicher ist, denn letztlich ist der Verkauf nur ein Teil des Umsatzes und die effektive Behandlung der wichtigste Bestandteil.

Überpflegung

Eine effektive Behandlung ist das minimale, was die Kundin im Institut erwarten darf. Die Effektivität wird allerdings schnell verlassen, wenn mehr als nötig behandelt wird. Das gilt sowohl für das Institut als auch für die Heimpflege. Dass Überpflegung2 nicht schaden kann, ist ein Irrglaube, der sich bereits im Portemonnaie bemerkbar macht. Aber auch die Haut reagiert darauf nicht immer so, wie man es vielleicht erwartet.

  • Übersteigerte Hygiene erhöht die Gefahr von Barrierestörungen und Infektionen.3
  • Zu hohe Dosierungen von Lipiden in Pflegecremes unterstützen das Wachstum von Anaerobiern und erzeugen auf diese Weise Hautunreinheiten. Okklusive Pflege regelt die hauteigene Regenerationsaktivität herunter.4
  • Häufige und über lange Zeit durchgeführte chemische Peelings erhöhen erfahrungsgemäß die Inzidenz von perioraler Dermatitis und Rosacea.5
  • Die routinemäßige Ausstattung von Tagescremes mit UV-Filtern führt zu Vitamin D-Defiziten.6
  • Ein Zuviel an Antioxidantien bremst die Melaninbildung aus.7
  • Scheinbare Universalprodukte mit einer Unzahl an Wirkstoffen in niedrigen Dosierungen senken die Effizienz einzelner Wirkstoffe und erhöhen das Allergierisiko - ganz besonders bei Verwendung vieler Extrakte.

Das ist nur eine kleine Auswahl an Beispielen, wo man über Reduzierungen nachdenken sollte. Die Effizienz leidet darunter nicht. Im Gegenteil, der Kundennutzen steigt. Die konditionierte Psyche ist allerdings ein großes Hindernis, es wirklich zu tun.

Hilfsstoffe für mehr Komfort

Die meisten Kosmetika enthalten Hilfsstoffe, die nicht der Hautpflege dienen, sondern die Lagerstabilität in physikalischer, chemischer und mikrobiologischer Hinsicht erhöhen. Ökonomisch gesehen wird dadurch die Mindesthaltbarkeit erhöht und vorzeitiger Abfall minimiert.
Typisch sind Emulgatoren, synthetische Antioxidantien und Komplexbildner sowie Konservierungsstoffe, die umso mehr die Produktionskosten senken, je stärker ihre Wirkung ist, da sie dann in sehr niedrigen Konzentrationen eingesetzt werden können. Damit schonen sie bei fairer Preisgestaltung auch die Ausgaben der Verbraucher, kollidieren allerdings häufig mit dem eigentlichen Ziel, nämlich einer optimalen Hautpflege ohne Irritations- und Allergierisiko.
Im Sinne der Haut ist daher umgekehrt der möglichst weitgehende Verzicht auf diese Stoffe. Die "ohne"-Philosophie ist jedoch im Allgemeinen nur durch Rezepturen zu realisieren, welche die Produktionskosten und somit auch die Abgabepreise erhöhen. Allerdings deutet eine Aussage wie "ohne Parabene" nicht unbedingt auf eine Reduzierung von Stoffen hin, da man davon ausgehen kann, dass stattdessen ein anderer Konservierungsstoff des Anhangs der Kosmetikverordnung (KVO) im Einsatz ist.
Die Chemie, aber auch die Natur bieten eine Vielzahl weiterer Stoffe an, die zwar nicht für die Haut nützlich sind, aber z. B. die Verteilung von Kosmetika auf der Haut erleichtern, eine samtige Hautoberfläche erzeugen oder einen dezenten Duft verströmen.
Der minimalistische Ansatz verzichtet weitgehend auf diese Stoffe, nimmt allerdings in Kauf, dass nur ein Bruchteil der Verbraucher auf die Produkte anspricht. Es muss in diesem Fall Überzeugungsarbeit geleistet werden, die jedoch umso leichter ist, je mehr es sich um Kunden mit Problemhaut handelt. Sie sind meist gut informiert und sehr konsequent in der Wahl ihrer Produkte.

Kontraproduktive Stoffe

Inwieweit sich einzelne Stoffe kontraproduktiv verhalten, ist häufig von der individuellen Hautkondition abhängig. Während die sensible Haut auf einen Konservierungsstoff mit einer Allergie reagieren kann, ist ein "dickes Fell" diesbezüglich möglicherweise völlig immun. Nun wurden in den letzten Jahren auch Komponenten entwickelt, die in der Lage sind, die Empfindlichkeit der Haut zu reduzieren.8 Damit wird die Haut gegenüber äußerlichen Reizen unempfindlicher, d. h. aber auch, dass Reaktionen auf potenziell reizende Komponenten in Pflegeprodukten unterdrückt werden. Gegen diese Zusätze hat sich das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bereits im Jahre 2003 ausgesprochen. Im Sinne einer realistischen Minimalistik sind sie mit Sicherheit auch nicht.
Eine spezielle Art von Inhaltsstoffen, auf die man gut verzichten kann, sind Schadstoffe, die zum Teil gar nicht deklariert werden9, weil es sich um Verunreinigungen handelt. z. B.

  • Unerwünschte Schwermetalle in Pigmenten
  • Nebenprodukte aus der Herstellung synthetischer Substanzen
  • Aromatische Kohlenwasserstoffe (MOAH = Mineral Oil Aromatic Hydrocarbons) und polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) in Mineralölkomponenten

Man muss umfangreiches einschlägiges Wissen besitzen, um zu erkennen, hinter welchen INCI-Komponenten sich diese Stoffe verbergen, um sich ihnen nicht auszusetzen.
Anders verhält es sich mit endokrinen Disruptoren10. Bei ihnen ist zwar die Datenlage häufig nicht eindeutig und es gibt aufgrund der chemischen Struktur und von in-vitro-Testen manchmal nur Verdachtsmomente, aber man kann sie in der INCI-Aufzählung eindeutig identifizieren. Im Zweifelsfalle sollte man sie auf die persönliche Verzichtsliste setzten. Schwierig wird es mit Substanzen, die zu chemischen Reaktionen mit atmosphärischem Sauerstoff neigen und daher erst beim Gebrauch allergene Reaktionsprodukte bilden. Zu dieser Gruppe gehören einige ätherische Öle, aber auch synthetische Stoffe, die z. B. mit Modeschmuck reagieren und allergenes Nickel freisetzen.9 Karzinogene Nitrosamine resultieren aus der Reaktion aminhaltiger Komponenten mit den Stickstoffoxiden der Luft; seitens der KVO gibt es dazu seit längerem Restriktionen, die sich aber nur auf Nitrit-abspaltende Inhaltsstoffe beschränken.

Umwelt und Abbaubarkeit

Minimalistischen Überlegungen müssen sich nicht allein auf den Ausschluss ineffektiver sowie für Haut und Gesundheit kontraproduktiver Stoffe beziehen. Es ist eine Frage der persönlichen Prioritäten, inwieweit auch umweltrelevante Kriterien eine Rolle spielen - etwa die Umweltverschmutzung durch inerte Plastikmaterialien, die Freisetzung von Schwermetallen in Gewässern durch schwerabbaubare Komplexbildner oder die Dioxinbildung aus chloraromatischen Konservierungsstoffen und Antiseptika, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
Zu diesen Aspekten gehören indirekt auch die Forderungen der Veganer hinsichtlich des Verzichts auf Stoffe tierischen Ursprungs, wenn man an die industrialisierte Tierhaltung als solche und deren Nebenwirkungen auf die Umwelt denkt.
Zur Minimalistik gehört auch, dass man nicht jedem Hype auf den Leim geht. Gerade das Thema Umwelt kann zu nutzlosen Käufen von Anti-Pollution-Kosmetik11 und als "entgiftend" angepriesenen Produkten verführen. Kein Zweifel, die meisten Umweltbelastungen sind kulturell bedingt und die fügt sich der Mensch persönlich und willentlich zu. Wenn man bisher rationalen Hautschutz und moderate Hautreinigung betrieben hat, muss man sich darum keine zusätzlichen Sorgen machen. Selbstverständlich gibt es auch "wissenschaftliche" Studien, die belegen, welche Gefahren Feinstaub & Co. für die Haut bedeuten. Fakt ist jedoch, dass nur ein Bruchteil der Studien belastbar ist und einen Bezug zur Realität hat.12 Es macht Sinn - und dies gilt ebenso für jedwede Studien zu anderen Thematiken -, die Arbeiten persönlich unter die Lupe zu nehmen und nicht nur auf ihren wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt zu untersuchen, sondern auch zu prüfen, von wem die Autoren bezahlt werden.

Modulare Kosmetik13

Statt zu versuchen, aus dem großen Kosmetika-Angebot das herauszufinden, das allen objektiven und persönlichen "ohne"-Wünschen entspricht, geht die modulare Kosmetik genau den umgekehrten Weg. Sie stellt Seren mit meistens nur einem Wirkstoff in angemessenen Konzentrationen und einem Minimum an Hilfsstoffen zur Verfügung.
Die Seren sind untereinander kompatibel und können dementsprechend miteinander oder mit Grundlagen wie Basiscremes, Basisgelen oder Basislotionen gemischt und auf diese Weise an die individuelle Haut angepasst werden.
Modulare Systeme setzen allerdings dermatologisch geprägte Berufserfahrung und Kenntnisse in der Hautdiagnose voraus - vor allem bei der Übersetzung von Messwerten in konkrete Mischungen. In den resultierenden Präparaten ist dann tatsächlich nur das enthalten, was die individuelle Haut für den Behandlungsablauf oder die Heimpflege wirklich benötigt. Alle "ohne"- und "mit"-Kriterien können einfließen. Bei dieser Arbeitsweise kann die Kosmetikerin ihre ureigene Kompetenz voll einbringen und auf den Großteil spezifischer Fertigpräparate verzichten. Investitionen in die Lagerhaltung werden dadurch erheblich gesenkt.
Allerdings gibt es bei dieser minimalistischen Variante einen rechtlichen Fallstrick, der gerne übersehen wird, wenn frau im Institut den modularen Erfolg hat. Während das Mischen von Produkten, die gemäß KVO als Fertigprodukte angemeldet sind, zum Institutsalltag gehört, ist der Verkauf individuell gemischter Produkte für die Heimpflege nur als ausgewiesene Dienstleistung gegenüber den Kunden möglich. Alles andere wie ein routinemäßiges Angebot spezieller Mischungen fällt rechtlich unter das Stichwort "Produktion", deren gesetzliche Rahmenbedingungen im Institut normalerweise nicht gegeben sind. Da Seren und Grundlagen nach KVO als eigenständige Fertigprodukte gelten, können sie selbstverständlich als solche verkauft werden. Die Kunden mischen sie selbst oder tragen sie hintereinander auf - zuerst die Seren und dann die Grundlagen.

Fazit

Das Potenzial minimalistischer Möglichkeiten in der Kosmetik ist beachtlich. Die anfänglich in der Überschrift gestellte Frage, ob "weniger auch mehr" ist, kann für die Hautpflege eindeutig mit "ja" beantwortet werden, wenn man vom Kundennutzen ausgeht. In den Marketing- und Finanzabteilungen der Hersteller wird man diese Ansicht allerdings nicht immer teilen.

Literatur

  1. Lautenschläger H, Tiegel, Tuben, Spender & Co - Verpackungen in der Kosmetik, Beauty Forum 2011 (10), 48-51
  2. Lautenschläger H, Überpflegung - Einfach zu viel des Guten, Kosmetik International 2015 (3), 22-25
  3. Lautenschläger H, Die Barriere schützen - Hautpflege bei Pilzinfektionen, medical Beauty Forum 2013 (4), 48-50
  4. Lautenschläger H, Akne - Möglichkeiten der kosmetischen Prävention, Beauty Forum 2015 (2), 88-91
  5. Lautenschläger H, Gesichtsreinigung - Inhaltsstoffe & Geräte, medical Beauty Forum 2018 (1), 14-17
  6. Lautenschläger H, Sonnenschutzprodukte - gezielt anwenden, medical Beauty Forum 2014 (2), 16-18 und Beauty Forum 2015 (2), 64-67
  7. Lautenschläger H, Antioxidantien und Radikalfänger - zu viel ist zu viel, Ästhetische Dermatologie (mdm) 2015 (8), 12-16
  8. Lautenschläger H, Reizlindernde Stoffe, Kosmetik International 2017 (1), 114-116
  9. Lautenschläger H, Versteckte Schadstoffe, medical Beauty Forum 2018 (4), 14-17
  10. Lautenschläger H, Endokrine Disruptoren - Schaden fürs Hormonsystem, Kosmetik International 2018 (1), 52-55
  11. Lautenschläger H, Anti-Pollution-Kosmetik, medical Beauty Forum 2017 (3), 12-15
  12. Lautenschläger H, Studien in der Kosmetik - Was ist wahr?, medical Beauty Forum 2018 (3), 14-18
  13. Lautenschläger H, Modulare Kosmetik, medical Beauty Forum 2017 (1), 26-29
Bemerkung: Die blauen Text-Passagen sind nicht in der ursprünglichen Veröffentlichung enthalten.

Dr. Hans Lautenschläger

 


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veröffentlicht in
medical Beauty Forum
2019 (6), 16-18

 
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